Gebraucht – Gedanken zu Weihnachten

Weihnachten steht vor der Tür, und überall sind wir jetzt wieder heiß umschwärmt – wir Käufer, die nun den Geldbeutel weit öffnen sollen, um die deutsche Wirtschaft anzukurbeln. So hat es schon der vormalige Bundeskanzler am Beginn der Adventszeit zur vaterländischen Pflicht erklärt, und so werden Vertreter der Wirtschaft nicht müde, zu wiederholen, allen Kürzungen und aller Arbeitslosigkeit zum Trotz. Und so werden wir wieder umschwärmt, wir Kunden, erleben endlich wieder einmal das Gefühl, gebraucht zu werden.
Dies ist nämlich eine Erfahrung, die uns ansonsten immer mehr verloren geht. Was uns auf unzähligen Ebenen vermittelt wird ist eher dies: Du bist eine Belastung. Eine Belastung für deinen Arbeitgeber, für den Staat, für die Rentenkassen, für die Versicherungen und Krankenkassen. Verzeihung, ist man manchmal versucht zu rufen, Verzeihung, dass wir Menschen sind und keine Maschinen, Verzeihung, dass wir für unsere Arbeit auch ausreichenden Lohn möchten, dass wir hin und wieder krank und dass viele von uns so alt werden! Wer im vorgerückten Alter arbeiten will und eine Familie zu versorgen hat, ist eine doppelte Belastung. Lieber eine junge und ledige Berufsanfängerin in den Kindergärten, hört man allenthalben, als eine Wiedereinsteigerin mit zwei Kindern – sie ist zu teuer!
Dieses Gefühl, vor allem eine ärgerliche Belastung für die Gesellschaft zu sein, wird uns fast überall vermittelt, nicht nur in der freien Wirtschaft, auch Staat und Kirche und selbst soziale Einrichtungen machen hier keine Ausnahme.
Und die Einstellung, in Menschen vor allem eine Belastung zu sehen, beginnt in unserer Gesellschaft schon am Anfang des Lebens. Kinder – nein danke! Sie sind doch vor allem eine finanzielle Belastung und ein Karriererisiko. Erstaunlich, dass man in Ländern der sogenannten Dritten Welt, wo es finanziell noch viel schwieriger ist, Kindern eine gute Ausbildung und überhaupt ein gutes Leben zu ermöglichen, dennoch gerne viele Kinder hat!
Ich finde hier die Weihnachtsgeschichte so ausgesprochen wohltuend. Ganz unverhofft schneit da ein Kind in eine noch unfertige Beziehung zweier Verlobter hinein. Da das Kind nicht von ihm ist, hätte Josef Frau und Kind eigentlich verstoßen müssen. Üppig haben sie´s nicht – nicht einmal eine rechte Unterkunft können sie sich leisten. Und dann gibt es gleich Scherereien – nach Ägypten müssen sie fliehen, bei Nacht und Nebel, um den Schergen des Herodes zu entgehen. Wohlstand und Karriere hat dieser Kleine seinen Eltern gewiss nicht gebracht.
Und trotzdem freuen sie sich so ungemein über dieses Kind und tun alles für sein Leben und Gedeihen – und werden darin zu einer ganz besonderen, ‚heiligen’ Familie. Und dem Jungen geben sie den Namen ‚Jesus’ – Gott ist Heil. Damit sagen sie auch: Dieses Leben, so viel Schwierigkeiten es auch für uns bringen mag, ist keine Last für uns, sondern ein Geschenk Gottes, ein Zeichen seiner unglaublichen Freundlichkeit gegenüber uns.
Das ist das, was wir brauchen in diesem Land: in unseren Kindern einen Segen sehen, ein Geschenk, das viel größer ist als alle Belastungen, die Elternschaft natürlich auch mit sich bringt. Was wir brauchen ist, jedem Menschen, von Beginn an, wieder das Wissen zu vermitteln: Du wirst gebraucht. Du bist für uns nicht in erster Linie Belastung, sondern Mitmensch; du bist uns willkommen, wir brauchen dich, gerade dich – nicht nur verzweckt als Steuerzahler oder Konsumenten, sondern dich als Menschen, als Bereicherung unseres Miteinanders.
Weihnachten ist das Fest der Menschwerdung Gottes, von Gottes Ja zum Menschen. Ich wünsche mir, dass es in diesem Jahr dazu beiträgt, dass auch wir zu unserem Ja zu unseren Mitmenschen finden. Kinder eingeschlossen. Dass, wenn wir das Kind besingen, die Liebe zum Kind uns wieder neu ins Gemüt dringt. Das wäre wirklich ein Stück Weihnachten.

Winnender Zeitung 07.12.05

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