Predigt beim Gottesdienst am Citytreff auf dem Winnender Marktplatz Sonntag, 22. Juli 2012
Wege zur Eintracht
Predigttext: Gen 12,1–4
Liebe Schwestern und Brüder,
wenn es schlecht steht im Leben, werden die Nahestehendsten besonders wichtig. Paulus befindet sich im Gefängnis, und was liegt da näher, als Kontakt zur Gemeinde in Philippi aufzunehmen? Sie war immer eine besondere Gemeinde für ihn, die erste Gemeinde auf europäischem Boden; von ihr nahm er als einziger Geldgaben an, nachdem er sonst immer so stolz war, sich selbst versorgen zu können. Sie schickten ihm mehrfach Geldboten, wenn er in Haft war, und ermöglichten ihm so wohl das Überleben.
Eigentlich stimmt alles bei ihnen. Es gibt keinen konkreten Anlass für den Brief, keine konkreten Missstände wie etwa bei den Korinthern. Es geht eher darum, Positives zu verstärken. Und darum, dass er sich ja im Gefängnis befindet und nicht weiß, ob er es lebend wieder verlassen wird. Da drängt sich die Sorge um die nächsten Angehörigen auf. Wie ein Vater oder eine Mutter wenigstens mit dem Wissen aus dieser Welt scheiden will, dass es bei den Kindern gut weiter geht und dass sie zusammen halten, so sorgt auch Paulus sich um die geliebte Gemeinde in Philippi - und so ist ihm auch ihre Eintracht sein größter Wunsch. Sie würde all die guten Seilten dieser Gemeinde zur Vollendung bringen. Und Paulus nennt mit Liebe und Demut zwei wichtige Wege zur Eintracht.
Eintracht – die wünschen wir uns alle. Und solange alles gut läuft, solange der andere macht, was wir wollen, fällt die Eintracht auch leicht. Aber was ist, wenn wir verschiedener Meinung sind, unter Ehepartnern, unter Geschwistern, zwischen Eltern und Kindern? Wenn einer von uns arbeitslos wird, das Geld nicht reicht oder Probleme mit dem Alkohol oder Depressionen bekommt? Wenn es beim Arbeitgeber nicht mehr rund läuft, gekürzt werden muss oder gar einzelne entlassen werden müssen? Dann geht rasch das große Hauen und Stechen los, dann wird reflexartig abgewehrt: Sparen – bei mir nicht! Bitte bei den anderen, aber nicht bei mir, ich bin der Wichtigste! Da machen auch die Kirchen keine Ausnahme.
Was bedeutet Eintracht unter uns Kirchen und Gemeinden, wenn wir in manchem verschiedener Meinung sind? Wir Evangelischen haben ein anderes Amts- und Abendmahlverständnis als unsere katholischen Geschwister; nach offizieller katholischer Lehre bin ich gar kein richtiger Pfarrer und dürfen wir gar nicht gemeinsam Abendmahl feiern. Wir haben auch ein anderes Taufverständnis als unsere Geschwister von der Volksmission. Was bedeutet da Eintracht? Heute, wie immer wieder in der Kirchengeschichte, gibt es Geschwister, die ein bestimmtes Thema, das ihnen am Herzen liegt, hoch hängen und zu d e r Messlatte für wahres Christsein machen. Für manche ist dies die Homosexualität. Afrikanische Anglikaner haben sich deshalb von der weltweilten anglikanischen Gemeinschaft losgesagt, und in manchen afrikanischen Kirchen kursiert eine Erklärung, man wolle keine Gemeinschaft mehr mit Kirchen, die Homosexuelle ordinieren. Aber solches Verbeißen in ein Thema spaltet die Christenheit. In der sächsischen Landeskirche bahnt sich ein ähnlicher Konflikt an.
Die Frage der Eintracht stellt sich in dieser Zeit auch in Europa. Was ist der rechte Umgang unter Starken und Schwachen, wo die einen auf die Unterstützung andere angewiesen sind und auch in unserem Land, das zu den – relativ – Starken gehört, das Stöhnen und der Unmut immer lauter werden. Aber das ist ja nicht neu. Schon in der alten Bundesrepublik war es so, dass wirtschaftlich stärkere Bundesländer die schwächeren mit am Leben halten mussten. Das Saarland, Bremen oder auch Westberlin hingen ständig am Tropf von Baden-Württemberg, Bayern und anderen florierenden Bundesländern. Nach der Wiedervereinigung mussten und müssen bis heute die westlichen Bundesländer die östlichen mit finanzieren. Der ‚Soli‘ ist schon längst manchen ein Dorn im Auge.
Warum aber haben wir nicht längst gesagt: Geht doch, ihr seid eine zu große Belastung für uns? Warum haben wir das Saarland nicht aufgefordert, auszutreten, es an Frankreich abgetreten, Bremen an jemand anderen oder auch das hochverschuldete Berlin? Doch wohl deshalb, weil für uns klar ist, dass sie zu uns gehören, weil das Wissen, zusammen zu gehören starker ist als aller Ärger und alle finanziellen Probleme, das Verbindende schwerer wiegt als alles Trennende.
Dasselbe gilt doch wohl auch für die Christenheit: Eintracht auch unter Christen, die hie und da unterschiedlicher Meinung sind, bedeutet nicht Gleichmacherei, aber es heißt, das Verbindende, das Gemeinsame größer sein lassen als alles, was uns unterscheidet und trennt. Es bedeutet, auf den gemeinsamen Herrn zu blicken, Christus. Wissen: wir gehören zusammen. Mit Liebe aufeinander zu blicken, und das heißt nicht zuletzt: Die Unterschiede nicht als etwas Trennendes, sondern als etwas Ergänzendes zu sehen, mich freuen an der Buntheit der Christenheit, sie als eine Gabe Gottes bejahen. Es ist doch schön, dass wir nicht überall auf der Welt nur eine Gottesdienstform haben, einen Musikstil, ein Liedgut, einen Predigtstil, einen Gebetsstil… Das macht unsere Christenheit doch reich und lebendig!
Ähnlich ist es in unseren persönlichen Beziehungen, unseren Freundschaften, v.a. unseren Ehen: Wenn wir einander mit Liebe betrachten, werden wir vieles, was am anderen anders ist, nicht als störend, sondern als Bereicherung, ja als wertvolle Ergänzung meiner selbst sehen können. Meine Art, mit unseren Kindern umzugehen, ist vielleicht nicht die allein selig machende. Ich kann auch nicht alles und bin froh, dass mein Ehepartner Dinge kann, die mir fehlen.
Wichtig ist die Eintracht in aller Verschiedenheit, dass wir, wie das Wort sagt, nach dem einen trachten, ein gemeinsames Ziel vor Augen haben und darauf gemeinsam zugehen. Von Saint-Exupéry stammt der schöne und wahre Satz, dass Liebe nicht so sehr darin besteht, einander anzusehen, als miteinander in dieselbe Richtung zu blicken. Schaffen wir es, als Freunde, als Ehepartner, als Kirchen, miteinander in dieselbe Richtung zu blicken?
Paulus nennt noch eine zweite Haltung, die für die Eintracht wichtig, ja eine ihrer Voraussetzungen ist: die Demut.
Bei diesem Wort muss ich natürlich erst einmal innehalten. Zu oft ist diese Tugend gerade in christlichen, in kirchlichen Kreisen missbraucht worden in der Vergangenheit. Demut als eine unterwürfige, kriecherische Haltung. Demut in diesem Sinne haben immer wieder die Herrschenden von den Untergebenen eingefordert, als besondere christliche Tugend gepriesen. Besonders den Frauen wurde sie eingetrichtert, nicht zuletzt mit einem fragwürdigen Marien(vor)bild von der Unterwürfigen, sich in ihre Rolle Fügenden, das Leben eher Verneinenden – ein Bild, das den Lobgesang der Maria völlig ausblendet, jenen aufmüpfigen Text, den Matthäus ihr in den Mund legt.
Demut, das schließt durchaus ein, dass wir gerne leben, uns des Lebens erfreuen, das Gott uns geschenkt hat, und die Gaben einsetzen, die er uns in unser Leben mitgegeben hat, sie entwickeln und groß werden lassen – zum meinem Wohle und zum Wohle anderer. Aber Demut bedeutet eine gewisse Erdung, ein Wissen um den Rahmen meines Lebens, wissen, woher dies alles kommt, meine Gaben und Fähigkeiten, und ein Wissen um meine Grenzen, dass ich eben in allem nur ein Mensch bin, mit Irrtümern und Grenzen. Mich oder jemanden für unfehlbar zu halten, ist für mich mit Paulus´ Gedanken von der Demut schwer zu vereinbaren. Demut bedeutet auch das Wissen, dass ich endlich und sterblich bin. In römischer Zeit, wenn ein siegreicher Feldherr im Triumphzug in Rom einzog und ihm alles jubelnd zu Füßen lag, mussten immer auch einige hinter ihm her gehen und beständig zurufen: "Memento mori" – denke daran, dass du sterblich bist!
Paulus charakterisiert die Demut als ein nicht oder nicht nur auf mich selbst sehen, sondern den anderen im Blick haben, ja höher schätzen als mich selbst. Die anderen, das Ganze im Blick haben, nicht nur mich, sondern die ganze Familie, die ganze Firma, die ganze Kirche, nicht nur meine Meinung, meine Gruppe, meine Gemeinde, meine Kirche, sondern alle Christen – das ist gewiss eine Tugend, die für die Eintracht besonders wichtig ist. Sicher, auch diese Tugend ist oft ausgenützt worden, und in nicht wenigen Kulturen dieser Welt ist bis heute der Anspruch der Gemeinschaft auf den einzelnen so stark, dass ein selbstbestimmtes Leben kaum möglich ist, dass einzelne – vor allem Frauen – ihre Träume opfern müssen für die Familienehre oder die Zukunft der Firma oder wo die Gemeinschaft so viel an Zeit, Kraft und finanziellen Mitteln des einzelnen in Anspruch nimmt, dass für die Familie im engeren Sinne kaum mehr etwas bleibt.
Aber doch - das andere Extrem, wo nur ich zähle, da geraten wir eben auch auf eine schiefe Ebene, wo ich andere, das Ganze nicht mehr im Blick habe. Wenn im Umgang unter uns Christen nur ich zähle, meine Profilneurose, mein Lieblingsthema, meine Vorstellung von wahrem Christsein, da sieht es schlecht aus um die Eintracht der Christen. Demut heißt, ich nehme nicht mich selbst so wichtig, sondern ich sehe auch die anderen, sehe das Ganze. Sehe mit Liebe und Demut auf unsere ökumenischen Beziehungen. Und wenn uns Christus verbindet, dann will ich nichts höher hängen, was uns trennt, dann will ich keine selbstgewählte Messlatte anbringen, über die andere nicht springen können – sondern ich will das Verbindende festhalten und ausbauen. Das ist für mich eben auch Demut.
Den anderen sehen und nicht nur mich selbst, das ist heute wichtiger denn je – nicht nur für Christen, aber Christen dürfen hier mit gutem Beispiel voran gehen. Nur ich und mein Spaß, das geht heute nicht mehr. Umweltverschmutzung, Klimawandel…das geht uns alle an. Das macht nicht an der Grenze Halt. Wir können nur gemeinsam überleben oder untergehen. Wie die Chinesen leben, betrifft uns, und wie wir leben, betrifft die Malediven und die Antarktis. Leben gibt es auf die Dauer nur mit der Demut, wie Paulus sie beschreibt, schon vor 2000 Jahren: dass ich nicht nur mich sehe, sondern auch die anderen, die anderen Menschen, aber auch das andere Leben, das der Tiere, Pflanzen, der Erde, des Wassers und der Luft. Und Leben wird es für unsere Kinder und Enkel nur geben, wenn wir nicht nur an den Moment, an uns heute denken, unser Vergnügen, und nach uns die Sintflut, sondern wen wir das Leben der künftigen Generationen im Blick haben und so leben, dass auch sie noch eine lebenswerte Welt vorfinden. Das hat konkrete Auswirkungen, und immer wieder werden wir gefragt sein, wieviel uns das wert ist. Die Energiewende muss uns etwas wert sein, denn wir müssen investieren in Windkraftanlagen, Überlandkabel. Es ist eine Investition in das Leben unserer Kinder und Enkel. Und es muss Schluss sein, dass wir - überall in Europa, nicht nur in Griechenland, sondern auch hier in Deutschland – über unsere Verhältnisse leben und Jahr für Jahr den Schuldenberg erhöhen nach dem Motto: nach uns die Sintflut. Dies tun wir nämlich auf Kosten unserer Kinder und Enkel. Die Demut, die Paulus fordert und die zur Eintracht führt – in diesem Fall auch der Generationen – wird immer wieder konkret auf den Prüfstand gestellt werden.
Eintracht ist heute unabdingbar, unter Christen und über Christen hinaus. In allen wichtigen Bereichen geht es nur noch gemeinsam, sind wir aufeinander angewiesen. Paulus gebraucht dafür in 1Kor12 das überhaupt nicht veraltete Bild vom Leib mit den vielen Gliedern, bei dem ein Organ auf das andere angewiesen ist. Bezieht er dies noch ausschließlich auf die Menschen, so hat 1854 der Indianerhäuptling Seattle auf die gesamte Schöpfung bezogen: ‚Der Mensch‘, sagt er, ‚ist nur eine Faser im Gewebe des Lebens. Was immer ihr dem Gewebe antut, tut ihr euch selbst an‘.
Die Sorge des Paulus gilt zunächst, als er den Brief verfasst, der Gemeinde in Philippi. Aber seine Sorge würde heute der ganzen Christenheit gelten, dass sie einträchtig ist, d.h., in aller Buntheit sich verbunden weiß und nach demselben trachtet. Ja, sie wäre heute die Sorge um die Eintracht der gesamten Menschheit, der heutigen und der künftigen Generationen. Liebe und Demut sind die Schlüssel dazu. Dies ist heute so aktuell wie vor 2000 Jahren.
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