Predigt beim Citytreff-Gottesdienst am 16.07.06 auf dem Winnender Marktplatz
Predigttext: Gen 12,1–4
Liebe Mitchristen,
Neues wagen ist gut. Freilich: Die Erfahrung lehrt, dass nicht jeder Aufbruch ein Aufbruch zum Guten ist, dass nicht jede Stimme, die uns auf eine neuen Weg rufen will, die Stimme Gottes ist. Am Beginn des Dritten Reichs herrschte in ganz Deutschland eine Aufbruchstimmung; die Mehrheit des Volkes, auch Christen, hatten das Gefühl, den Anbruch einer neuen, besseren Zeit zu erleben und daran mitwirken zu müssen.
In der Politik dringen so viele Stimmen auf uns ein, die Wege in die Zukunft anpreisen. Alles muss sich ändern, die Sozialsysteme umgebaut, die Energieversorgung anders geregelt und überhaupt so vieles bedacht und anders gemacht werden, damit wir und unsere Nachkommen auch in Zukunft leben können. Und jede Partei, fast jeder Politiker hat dazu seine eigenen Ideen. Welcher sollen wir vertrauen, in welcher begegnet uns der Ruf Gottes? Selbst in unseren Kirchen ist vieles im Umbruch; ‚Notwendiger Wandel' ist eines der wichtigsten Schlagwörter in unserer evangelischen Kirche. Aber in welche Richtung soll dieser Wandel gehen? Ist der Ruf Gottes dort zu vernehmen, wo manche vorschlagen, Modelle aus der freien Wirtschaft zu übernehmen?
Selbst in unserem persönlichen Leben ist es nicht immer leicht zu entscheiden, welchem Ruf zu Neuem wir nun folgen sollen. In welcher Möglichkeit, eine neue Arbeit aufzunehmen, den Wohnort zu wechseln, uns mit einem Lebenspartner zusammenzutun, ergeht wirklich der Ruf Gottes an uns – und wo handelt es sich nur um persönlichen Ehrgeiz, um ein Hirngespinst, aus dem es ein böses Erwachen geben wird?
Ich könnte mir denken, dass das auch für Abraham nicht so einfach war, wie es dasteht, dass auch ihm verschiedene Wege in die weitere Zukunft möglich waren. Im Nachhinein sind wir immer klüger, im Nachhinein sehen wir, welcher Weg Segen und welcher Verderben gebracht hat und wo also Gott uns gerufen hat und wo nicht. Nur – wir müssen immer wieder jetzt entscheiden, wir können nicht bis in die Zukunft warten und die Uhr dann zurück drehen.
Es ist also klar: eine Entscheidung, auf welchen Weg ich mich einlasse, wo ich Gottes Ruf zu vernehmen glaube, hat immer etwas mit Wagnis zu tun, auch mit dem Risiko des Irrtums. Das kann nie ganz ausgeschlossen werden, und weder ich noch irgend ein anderer aufrichtiger Prediger kann Ihnen jetzt ein Rezeptbuch vorstellen, nach dem wir in allen Lagen des Lebens sofort und zweifelsfrei die Stimme Gottes ausmachen können.
Es gibt aber doch ein paar Dinge, die als Orientierungspunkte, als Leuchtzeichen auch auf nebeliger Fahrt durch die Meerenge dienen können.
Zum ersten: Wie wir schon hörten, ist die Stimme Gottes nicht dort vernehmbar, wo Bestehendes, ja vielleicht Privilegien gegen andere abgesichert werden sollen. Dafür mögen praktische Gründe sprechen - der Bestimmung unseres Lebens nähern wir uns auf diese Weise nicht. Das tun wir dort, wo wir uns auf neue Wege begeben im Vertrauen auf Gottes Gegenwart.
Zweitens: Es gibt einen für mich sehr, sehr wichtigen Satz in unserem Text, der eine grundlegende Orientierung markiert: ‚Ich will dich segnen, und du sollst ein Segen sein'.
Darum geht es: Um Segen für mein Leben, mein persönliches, und den Segen für uns als Volk. Ja, das darf sein, darauf habe ich ein Recht. Ich muss mich und mein Wohlergehen nicht immer anderen Interessen unterordnen, denen meines Ehepartners, meines Arbeitgebers, anderer gesellschaftlicher Gruppierungen. Aber: das ist nicht alles. Meine Bestimmung liegt auch darin, Segen für andere sein zu können. Das ist zuerst einmal ein wunderbarer Zuspruch: Ich kann, als ganz gewöhnlicher Mensch, mit meinen Stärken und Schwächen, zum Segen für andere werden, oder besser gesagt: Gott kann mich gebrauchen, um Segen auf andere überfließen zu lassen.
Das heißt aber auch: bei allen Entscheidungen, welchen Weg ich in die Zukunft gehen soll, ich persönlich und wir als Volk, geht es nicht nur um meinen und unseren Vorteil, um den Segen für mich, sondern auch und nicht zuletzt darum, ob ich auf diesem Weg auch Segen für andere sein kann. Die neue Arbeit, der Wohnortwechsel – bringt das nur mir etwas, meinem Ehrgeiz, meinem persönlichen Egoismus, oder auch anderen? Hat von meinem neuen Weg auch zumindest meine Familie etwas davon oder, noch besser, auch andere Menschen, oder will ich hier nur mich verwirklichen, vielleicht sogar auf Kosten anderer? Das wäre mit Sicherheit kein Ruf Gottes.
Und bei unseren gesellschaftlichen Fragen, dem Umbau der Sozialsysteme, den verschiedenen Zukunftswegen, die da vorgeschlagen werden: geht es hier um den Segen für alle oder zumindest für eine breite Mehrheit oder nur für eine Minderheit, nur darum, die Privilegien der eigenen Gruppe zu sichern? Auch darin läge nicht der Ruf Gottes.
Und wenn es schließlich um das Zusammenleben der Völker in unserer globalisierten Welt geht, dann gilt auch hier: Segen, ja das darf ich mir auch für mein eigenes Volk wünschen. Aber eben nicht nur. Und hier an diesem Beispiel wird wohl deutlicher als an allen anderen: Segen kann ich niemals egoistisch nur für mich und sogar gegen andere erlangen. Jeder Versuch, hohen Lebensstandard gegen andere und gar auf Kosten anderer zu sichern, wird unsere Welt in Krieg, Terror und Umweltzerstörung stürzen und auf den Verursacher selbst zurückfallen. Segen gibt es immer nur als gemeinsamen, mit anderen geteilten Segen. Der Ruf Gottes ergeht an uns dort, wo Wege aufgezeigt werden, die nicht nur für mein Land, für mein Volk, für meine Clique Annehmlichkeiten sichern, sondern Leben und Zukunft für die Mehrheit der Menschen und für die nachfolgenden Generationen, ja für die Mehrzahl des Lebens überhaupt auf diesem Erdball bedeuten.
Und drittens und letztens: jeder Weg in eine neue Zukunft ist mit Risiko, jede Änderung zum Besseren auch mit Nachteilen verbunden. Als man die Sklaverei abgeschafft hat, wurden Menschen arbeitslos. Als die Alliierten Hitler in die Schranken weisen wollten, mussten sie Krieg führen. Und wer heute die Umwelt schützen und etwas für die künftigen Generationen tun will, muss seinen Lebensstil ändern und an manchen Stellen einschränken. Den nur guten Weg, ohne irgend welche Nachteile, gibt es nicht. Auch Abraham musste eine lieb gewordene Heimat, musste sicherlich Freunde und Bekannte und wohl auch ein wirtschaftlich gesichertes Leben zurück lassen. Der Ruf Gottes weist nicht den leichtesten Weg, er drängt uns vielmehr immer wieder zu Entscheidungen, oft schwierigen und schmerzlichen Entscheidungen, aber immer zu Entscheidungen, die Bestimmung unseres Lebens zu erlangen, er ruft uns zu großem Verzicht, aber zu noch größeren Zielen, die nur so zu erlangen sind. Uns nicht zu entschieden wäre etwas vom Fatalsten, denn es hieße, diese Möglichkeiten auszuschlagen.
Ich wünsche uns allen das richtige Gehör für Gottes Ruf, Mut zu den richtigen Entscheidungen und nicht zuletzt dann die Erfahrung, zum Segen für viele andere geworden zu sein. Eine größere Erfahrung gibt es nicht.
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