Gastpredigt bei der Volksmission entschiedener Christen in Winnenden am 11. Februar 2001

Text: Apostelgeschichte 10. Petrus und Kornelius


Liebe Schwestern und Brüder,

diese Geschichte ist für mich immer eine ganz besonders eindrückliche gewesen, wie überhaupt die Apostelgeschichte zu meinen Lieblingsbüchern gehört, weil sie eine Reihe der schönsten Beispielgeschichten enthält für das, was christlicher Glaube bedeutet. Die Erzählung von Petrus und Kornelius ist dabei eine besonders bedeutsame, weil sie einiges an Grundlegendem aussagt über das Christsein und über den Gott, den wir als Christen verehren. Es ist eine Bekehrungsgeschichte - aber eine ganz besondere.

Im Mittelpunkt steht Petrus. Ihn lernen wir näher kennen und - das gilt zumindest für mich - schätzen und lieben während dieser Erzählung. Er hält sich an der Küste Palästinas auf und wohnt im Hause eines Gerbers. Schon diese Einzelheit ist, wie so viele andere, nicht zufällig. Das Gerberhandwerk galt als schmutziges Handwerk unter den Juden. Man kann es sich vorstellen - das Hantieren mit Fellen, der ständige, penetrante Geruch - in einem solchen Umfeld hielt man sich ungern auf. Aber Petrus ficht das nicht an. Er ist sich nicht zu fein dafür, dort abzusteigen.

Als er auf dem Dach weilt und betet, wird ihm eine Vision zuteil Er sieht Speisen, sieht Tiere, die er schlachten und essen soll. Allesamt sind es Speisen, die für ihn als Juden unrein sind. Und damit wir dies recht verstehen: Es handelt sich nicht um menschliche Vorlieben, nicht um menschlichen Geschmack - es handelte sich und handelt sich bis heute um Speisegebote, die nach jüdischer Überzeugung von Gott gegeben sind, die wir im Alten Testament finden, Vorschriften, so sakrosankt wie für uns Gottes Auftrag, zu taufen oder das Abendmahl zu feiern. Und gegen diese soll er nun verstoßen. Er soll essen, er soll Gottes Gebote brechen - was für eine Zumutung! Erst später, nach der Begegnung mit Kornelius, wird ihm klar werden, was das zu bedeuten hat.

Die Ereignisse nehmen ihren Lauf: Schon klopfen die Boten des Kornelius an die Tür. Drei Männer besuchen Petrus, begehren Einlass. Drei Heiden, drei unreine Menschen, nach jüdischer Auffassung. Aber sie sind mehr als nur Boten des Kornelius, sie sind gewissermaßen Gottes Boten, der sie durch Kornelius schickt.
Das erinnert nicht nur an die Dreizahl, die für uns Christen besonders wichtig ist - an die Dreifaltigkeit Gottes - es erinnert auch an eine andere Geschichte, wo Gott jemand in Gestalt dreier Männer aufsuchte: Abraham, so erzählt das Alte Testament, wird von Gott in Gestalt dreier Männer aufgesucht. Und Abraham wie Petrus machen eine besonderer Erfahrung, ja bekommen von Gott etwas aufgezeigt, weil sie Fremde gastfreundlich bei sich aufnehmen. Im Falle des Petrus sogar Menschen, die man normalerweise als Jude nicht hereinließ. Beide sind diejenigen, die auf Gottes Ruf hin ihre gewohnte Umgebung, ihre Traditionen verlassen und sich auf den Weg machen. Ohne dass Abraham sich auf den Weg machte vom Zweistromland nach Kanaan, hätte es nie ein Volk, nie ein heiliges Land Israel, nie einen Bund zwischen Gott und diesem Volk gegeben. Ohne dass Petrus die Grenze zum Heidentum überschritt, wäre aus dem Christentum niemals diese weltweite Glaubensfamilie geworden. War Abraham der Stammvater des Volkes Israel, so wurde Petrus zum geistigen Stammvater der weltweiten Christenheit. Der Aufbruch, der Aufbruch aus der gewohnten Umgebung auf Gottes Ruf hin - das ist kennzeichnend geworden für Juden und Christen. Der Aufbruch Abrahams aus dem Zweistromland, der Aufbruch Israels aus Ägypten, der Aufbruch der Fischer vom See Genezareth, der Aufbruch der Wanderapostel in alle Länder dieser Erde. Die Christenheit - wie auch das Judentum - ist das Volk Gottes unterwegs. Das soll sie zu allen Zeiten auszeichnen.

Und so macht sich Petrus eben auch auf mit den drei Boten zum Hause des Kornelius. Er hat keine Dogmatik zur Hand, mit der er das begründen, mit der er sich rechtfertigen kann. Nur die persönliche Überzeugung, einem Ruf Gottes zu folgen.
Es war ein Sakrileg, ebenso wie das Essen unreiner Speisen, das Haus eines Unreinen zu betreten. Die Juden pflegten ja ihre genauen Vorstellungen, wer als rein und wer als unrein zu gelten hatte. Zöllner sind unrein. Heiden sind unrein. Mit ihnen hat man nichts zu schaffen. Es ist auch vielleicht eine Form der Rache derer, die von Zöllnern ausgebeutet und von römischen Soldaten unterdrückt wurden. Selbst als der Hohe Rat zu Pilatus kommt und etwas von ihm will - die Verurteilung Jesu - denken sie nicht daran, sein Haus zu betreten. Pilatus muss sich zu ihnen hinaus bemühen
Und nun betritt Petrus einfach das Haus eines Unreinen, eines Heiden. Er spürt instinktiv: Wer Gottes Wort hören will, kann nicht unrein sein. Er folgt dem Beispiel seines Herrn, der die Häuser der Zöllner betrat. Jesus hat sie aufgehoben, diese Einteilung der Welt in Rein und Unrein, in weltlich und geistlich. Mit seinem Tod riss der Vorhang im Tempel entzwei.

Jetzt betritt er das Haus des Kornelius - und zeigt, was für ein Mensch er ist. Er erträgt es nicht, dass sich der Heide vor ihm niederwirft. „Ich bin auch nur ein Mensch!“ erinnert er ihn. Und dann kommt dieser Ausruf, kommen diese drei Worte, die das alles Entscheidende zusammenfassen: “Jetzt begreife ich!“

Er begreift: Was Gott vorhat, soll die Grenzen seines Volkes sprengen. Was Gott vorhat, ist viel mehr als eine verbesserte Neuauflage des Judentums, es ist eine Sache, die alle Völker ergreifen, alle Grenzen überschreiten soll. Jesus ist nicht nur für die Juden, für sein Volk, gekommen, gestorben und auferstanden, sondern für alle. In diesem Moment endet das Dasein einer jüdischen Sekte und beginnt die Geschichte einer universalen Bewegung, die sich Christentum nennt. Das ist der entscheidende Meilenstein in der Geschichte unseres Glaubens. Wäre Petrus hier seinen Weg nicht gegangen, es wäre eine belanglose jüdische Sekte geblieben. Der christliche Glaube hätte sich nie über andere Länder ausgebreitet, wäre nie bis zu uns gelangt, und wir säßen heute nicht hier und könnten im Glauben an ihn Gemeinschaft haben.
In diesem Moment, als er das Haus des Kornelius betritt, begreift Petrus das Entscheidende. Und er ist nicht zu stolz, das zu sagen. Er, der Apostelfürst, der Fels, auf den Jesus seine Kirche bauen will, der die Schlüssel zum Paradies in Händen hält, der berufene Hirte der Christenheit, er ist sich nicht zu fein, einzugestehen, dass er noch lernen kann. Dass er durch einen Heiden noch etwas lernen kann über seinen Glauben! Oder sagen wir es anders: Dass Gott ihm durch einen Heiden die Augen öffnen kann. Wie sympathisch tritt uns dieser Petrus hier entgegen - bescheiden, lernfähig, offen für andere. Das will gar nicht zusammenpassen mit dem Zerrbild, das man später von ihm gezeichnet hat, diesem Bild des sich unfehlbar dünkenden Monarchen.

Es ist eine Bekehrungsgeschichte. Aber wer bekehrt wen? Beileibe nicht nur Petrus Kornelius! Beide, Kornelius und Petrus, bekehren sich. Beide müssen dazu gewaltig über ihren Schatten springen: Kornelius, der Offizier der siegreichen Besatzungsmacht, der sich allen Völkern überlegen fühlenden Römer - er bittet einen Juden um etwas, so einen dahergelaufenen Fischer eines kleinen und besiegten Volkes, er bittet ihn zu sich und wirft sich vor ihm nieder. Petrus, der Jude, betritt das Haus eines Heiden, eines Unreinen, der dazu von Gott und dessen Willen doch keinerlei Ahnung haben kann. Aber weil beide über ihren Schatten springen, wird die Begegnung möglich, weil beide dem Ruf Gottes folgen, lernen sie Neues und stoßen dem Christusglauben eine neue Tür auf.

Petrus verkündigt dann allen Anwesenden in Kurzform die frohe Botschaft von Jesus. Die Folge ist, so berichtet Lukas, dass die Zuhörer anfangen „in Zungen zu reden“. Eine andere Übersetzung - wie die Gute Nachricht, die ich hier vorgelesen habe - sagt, sie fingen an, „in fremden Sprachen zu reden“. Ein kleines Pfingstwunder also. Der Heilige Geist kommt über die Anwesenden.
Eine fremde Sprache zu sprechen ist mehr als die intellektuelle Fähigkeit, ein Vokabular und eine Grammatik zu beherrschen. Es ist das Einfühlen in das Denken eines anderen Volkes, in seine Art, zu denken, zu fühlen, zu glauben, in seine Art des Humors, in seine Art, sich in jeder Situation des Lebens auszudrücken, es ist das Eintauchen in die Seele eines anderen Volkes. Man wird ein Stück weit selbst Teil dieses Volkes. Es ist ein Akt der Grenzüberschreitung. Und so ist es kein Zufall, sondern ein unterstreichendes Zeichen, wenn in dieser Szene, in der Petrus und mit ihm der christliche Glaube seine entscheidende Grenze überschreitet, die Anwesenden ebenfalls fähig werden, die Grenzen zu anderen Völkern zu überwinden - indem sie deren Sprachen sprechen. Das ist Frucht des Heiligen Geistes, möglich durch diese Begegnung.

Es tut dem ganzen keinen Abbruch, dass Petrus sich anschließend rechtfertigen muss in Jerusalem. Natürlich, für manche ist das unerhört neu, ist es eine Zumutung, was er da getan hat. Er muss Geduld mit ihnen haben, erklärt ihnen, was geschehen ist, in voller Überzeugung seines Glaubens. Und Gott wirkt, dass auch die anderen dies annehmen und dass der Christusglaube seinen Weg findet. Petrus hat die entscheidende Tür aufgestoßen, und Paulus wird es sein, der durch diese Tür geht und noch viel eifriger und entschiedener den Christusglauben allen Völkern bringt.

Die Geschichte von der Begegnung von Petrus und Kornelius ist eine Geschichte der Grenzüberschreitung. Der entscheidenden Grenzüberschreitung in der Geschichte der Christenheit. Und sie erzählt damit nicht nur etwas Vergangenes, sondern sie will einen wesentlichen Grundzug unseres Glaubens und Lebens als Christen beschreiben: Immer unterwegs, immer Grenzen überschreitend, immer und überall mit Gott rechnend. Denn darum geht es letzten Endes, liebe Geschwister: nicht zuallererst um eine menschliche Tugend, sondern um das Wesen Gottes. An welchen Gott glauben wir? Die Korneliusgeschichte sagt es uns: an einen Gott, der viel größer ist als meine Vorstellungen, weiter als meine Grenzen von Nation, Volk, Rasse, Kirche, weiter als all meine Traditionen und Vorstellungen. Er wird immer auch jenseits des Horizonts zu finden sein, bis zu dem ich sehen kann. Dieser Gott wird sich niemals in meine begrenzten menschlichen Vorstellungen, Traditionen und Wertmaßstäbe einsperren lassen.

Unser Gott lässt sich - zum ersten - niemals auf meine Nation, mein Volk und meine Rasse begrenzen. Im ersten Glaubensartikel sagen wir, dass er der Schöpfer des Himmels und der Rede ist. Also aller Völker und Rassen. Und natürlich ist es ihm möglich, in allen Völkern, Rassen und Nationen gegenwärtig zu sein.
Die ersten Christen - auch Petrus - waren in ihrem jüdischen Hintergrund verhaftet. Sie sahen die Sache Jesu als eine verbesserte Neuauflage oder als eine Fortführung des Judentums. Mit anderen Worten: als die Religion eines Volkes.
Volksreligionen, Nationalreligionen hat es viele gegeben, Religionen, die das eigene Volk verherrlichten, Religionen der einen gegen die anderen. Das hatten die Ägypter, die Römer, die Griechen... All denen eine weitere hinzuzufügen, das wäre wahrhaftig nichts Neues gewesen. Dazu hätte Jesus nicht zu kommen, dafür hätte er vor allem nicht zu sterben und auferstehen brauchen! Nur um den nationalen Götzen einen weiteren hinzuzufügen?
Nein, er kam, um die Grenzen zwischen den Menschen einzureißen, um eine Sache in Gang zu setzen, die über alle Länder der Erde, über alle Landes- und Volksgrenzen hinweg Menschen ergreifen und miteinander verbinden sollte - er kam, damit überall in dieser Welt, und nicht nur in einem Winkel, Gott Jahwe die Ehre gegeben werde! Darum überschritt er Grenzen in seinem irdischen Leben, betrat die Häuser der Zöllner und der Unreinen, suchte auch die Städte der Samaritaner und Phönizier auf und erhörte die Bitte eines römischen Hauptmanns. Darum beauftragte er seine Jünger, zu allen Völkern der Erde zu gehen, und darum schickt er hier Petrus in das Haus eines römischen Hauptmanns. Es ist der Jesus, von dem wir in jedem Abendmahl sagen, dass sein Blut „für viele“ - und das will heißen: für alle - vergossen wurde. Für mich - aber auch für die anderen.
Gottes Heiliger Geist befähigt Menschen, nationale Grenzen zu überschreiten und die Sprachen der anderen zu sprechen. Daran wird man ihn bis heute erkennen. Gottes Geist ist dort gegenwärtig, wo Menschen über ihre Grenzen von Nation und Rasse zueinander finden, und er wird dort verleugnet, wo Gegensätze aufgerichtet werden. Das ist, liebe Geschwister, eine Frage des Glaubensbekenntnisses, eine Frage, welchen Gott wir verehren. Gerade heute, wo ein falscher Nationalismus wieder mächtig werden will, der uns einflüstert, Gott habe Völker erster und zweiter Klasse geschaffen, ja, die die Nation zum obersten Götzen erhebt, dem auch Menschenleben geopfert werden sollen – jener Irrtum, der in der Geschichte bereits eine unselige Blutspur gezogen hat, gerade da müssen wir Christen bekennen: Wir verehren einen anderen Gott! Den Gott, der alle nationalen Grenzen übersteigt, den Herrn, der viel mehr wollte als eine jüdische Sekte und der im anderen Volk ebenso gegenwärtig ist wie in meinem.
Natürlich, man darf sein Volk lieben. Es ist gut, zu wissen, wohin ich gehöre, wo meine Wurzeln sind. Mein Volk ist ein wichtiger und schöner Mosaikstein in Gottes Schöpfung. Auch Petrus hat sein Volk und sein Brauchtum geliebt. Nach allem, was wir wissen, fuhr er auch nach der Korneliusgeschichte fort, Jude zu sein und die jüdischen Gesetze zu achten. Aber er hat gemerkt: Das ist nicht alles. Gott ist nicht nur in meinem jüdischen Brauchtum gegenwärtig, sondern auch in den anderen Völkern. Er lässt sich nicht beschränken. Nicht auf das jüdische Volk, nicht auf das deutsche und auch nicht auf Europa oder die westliche Welt. Alle wirtschaftliche Überlegenheit soll uns nicht blenden und zu der Annahme verführen, wir hätten ihn gepachtet oder könnten dies jemals tun. Gott begegnet sogar wohl eher dort, wo wir es am wenigsten erwarten. Jesus kam nicht in Rom zur Welt. Nicht einmal in Jerusalem. Und heute würde sich Gott für seine Geburt vielleicht eher ein Land der Dritten Welt aussuchen als das glänzende Ambiente von Paris oder Hollywood.

Gott ist viel größer als unsere Grenzen - er lässt sich zum zweiten nicht beschränken auf meine Konfession, auf meine Kirche, auf meine christliche Gemeinschaft. Auch hier gilt: Ich darf meine Kirche, meine Gemeinschaft lieben. Ich darf und soll mich wohl fühlen in ihr. Ich selbst bin gerne Protestant. Das ist meine geistliche Heimat. Ich freue mich für jeden, der dies ebenfalls ist. Aber ich freue mich ebenso für jeden, der gerne Katholik ist, Methodist, Baptist - und für jeden, der in der Volksmission seine Heimat findet. Auch hier ist es wichtig, zu wissen, wohin ich gehöre. Aber glauben wir deshalb nicht, Gott ließe sich auf meine Kirche, auf meine Gemeinschaft beschränken! Nein, Gott hat unzählige Möglichkeiten, in dieser Welt gegenwärtig zu sein, und auch hier ist er es oft an den Stellen, wo wir am allerwenigsten damit rechnen. Ich bin dankbar für die Geschwister im Glauben, die ich bislang kennen gelernt habe - die in meiner eigenen Kirche, aber auch die in anderen Kirchen und Gemeinschaften. Ja, ich muss gestehen, ich könnte mir ein Christsein ohne sie gar nicht mehr vorstellen, ohne die katholischen, methodistischen und eben auch der Volksmission angehörenden Geschwister. Wie viele Geschwister kenne ich, die anderen, ja oft ganz anderen Kirchen angehören, die zum Teil erhebliche Lehrunterschiede zur evangelischen Kirche haben. Aber wenn ich ihnen begegne, spüre ich deutlich, dass sie ebenso wie ich von Gott umgetrieben werden und mit nicht weniger Ernst versuchen, nach seinem Willen zu leben.
Wir müssen nicht alle gleich werden. Das können wir gar nicht, und das wäre wohl auch gar nicht erstrebenswert. Jeder von uns ist einmalig und unverwechselbar. Gott hat nicht am Fließband produziert. Unsere Verschiedenheit macht diese Welt bunt und schön. Dies gilt auch für die verschiedenen religiösen Bedürfnisse und Wellenlängen. Wir sollen nicht meinen, alles gleichschalten zu müssen. Entscheidend ist, dass uns über alle Gemeindegrenzen hinweg der Glaube an denselben Gott verbindet. Gott lässt sich nicht beschränken auf meine Gemeinde. Ja, mehr noch: Wir lernen diesen Gott, seine unermessliche Größe und Weite, überhaupt erst richtig kennen, wenn wir auf den anderen zugehen. Welch kleines und armseliges Verständnis von Gott hätte Petrus sein Leben lang gehabt, hätte er nicht das Haus des Kornelius betreten! Der Nationalgott der Juden, eines kleinen Völkchens am Ostrand des Mittelmeers wäre er geblieben. Durch die Begegnung werden ihm die Augen geöffnet. Darum ist es keine Nebensache, dass wir aufeinander zugehen und Grenzen überschreiten. Es geht darum, dass wir Gott immer besser kennen lernen, seine unermessliche Weite. Dass ich merke: Das, was ich bisher hatte, was ich von ihm wusste und an ihm schätzte, war schön und hat seinen Platz, aber es war nur ein kleiner, bescheidener Ausschnitt, es war nur ein Stein im Mosaik Gottes.
Mir macht das keine Angst, und ich empfinde es auch überhaupt nicht als enttäuschend. Im Gegenteil: Was kann es Schöneres und Spannenderes für einen Christen geben, als immer mehr von Gott zu erfassen, als sich auf diese lebenslange Entdeckungsreise zu machen, bei der wir Gottes unermessliche Größe und Weite kennen lernen? Petrus lädt uns ein zu dieser Reise mit dem Beispiel, das er uns in der Geschichte mit Kornelius gibt. Petrus, den wir immer mit dem Schlüssel in der Hand darstellen. Er entschlüsselt uns den Gott der Bibel.

Drittens und letztens zeigt uns die Geschichte von Petrus und Kornelius, dass Gott sich auch nicht beschränken lässt auf unsere menschlichen und allzumenschlichen Vorstellungen. Hand aufs Herz: Wir alle haben alle doch unsere Einteilungen, unsere Schubladen, unsere Vorstellungen von Gut und Böse, von Rein und Unrein. Auch wir haben heute Menschen, bei denen wir die Nase rümpfen, um die wir lieber einen Bogen machen - ähnlich wie die Juden damals bei den Zöllnern und den Heiden. Bei uns sind es vielleicht die Ausländer, die Geschiedenen, die Homophilen, die früheren Strafgefangenen, die Suchtkranken... Jeder kann, wenn er ehrlich ist und in sich geht, bestimmt mindestens eine Menschengruppe benennen, mit der er so seine Schwierigkeiten hat.
Ich kenne das. Aber ich muss mir dann immer wieder sagen: Gott ist nichts unmöglich. Und wenn er durch einen dieser Menschen zu mir sprechen und mit etwas aufzeigen will, dann muss ich auch dafür offen sein und soll mir das nicht entgehen lassen. Was wäre Petrus entgangen, wenn er das Haus des Kornelius, des unreinen Heiden, nicht betreten hätte! Er wäre auf der Stelle getreten, und er hätte etwas Wesentliches von Gott nicht verstanden. Gott ist nicht nur gegenwärtig bei denen, die meinen Wunschvorstellungen entsprechen. Auch bei den anderen. Und vielleicht gerade durch sie will er mir manchmal etwas zeigen. Darum werden wir durch die Korneliusgeschichte zu Recht daran erinnert, dass mit Christus die Zweiteilung der Welt in Rein und Unrein aufgehoben ist. Mit seinem Tod riss der Vorhang im Tempel entzwei!

Die Geschichte von Petrus und Kornelius ist eine Geschichte, vielleicht die Geschichte der Grenzüberschreitung. Und sie ist damit gleichzeitig eine Geschichte der Bekehrung und eine Geschichte der Gotteserkenntnis. Unterschiede der Rasse, des Volkes der Nation dürfen uns nicht trennen. Unterschiedliche religiöse Traditionen, unterschiedliche Kirchenzugehörigkeiten dürfen uns nicht trennen. Wo wir das Entscheidende gemeinsam haben, wo Jesus Christus für mich der Offenbarer Gottes ist, wo ich annehme, dass er für mich gestorben und auferstanden ist und wo ich ihm mit meinem ganzen Leben nachfolgen will - und wo ich dem anderen dasselbe zubillige - , dort haben wir das Entscheidende gemeinsam, und dort können wir Gemeinschaft haben. Dort, wo wir uns als Glieder desselben Leibes empfinden, um es mit Paulus zu sagen - und nicht denken, ich wäre schon allein für mich der komplette Leib.

Gott mutet uns etwas zu. Wir können wählen - ob wir stehen und bei unseren altbekannten, aber eben begrenzten Gottesvorstellungen bleiben wollen, oder ob wir uns aufmachen wollen zum anderen und dadurch Gott immer tiefer erkennen wollen.

Ich wünsche uns - gerade auch als Christenheit hier in Winnenden - dass ein Hauch des Heiligen Geistes spürbar wird, dass wir als Volk Gottes im Aufbruch erlebt werden können, dass wir den Mut haben, Grenzen zu überschreiten und bereit sind, zu lernen - wie Petrus, der mit dem Schlüssel. Dass wir einander ohne Furcht begegnen und dadurch immer tiefer verstehen, welchen Gott wir bekennen - Sonntag für Sonntag und hoffentlich auch Werktag für Werktag.

Wir brauchen einander. Erinnern wir uns noch an eine andere Stelle der Bibel: die Paradieserzählung. Dort wird berichtet, dass der Mensch alleine nicht leben kann und ihm Gott deshalb einen Mitmenschen zur Seite stellt. Das Paradies gibt es nicht allein. Nur gemeinsam oder gar nicht. Petrus hat es uns gezeigt. Wirklich, er hält den Schlüssel zum Paradies in Händen.

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