Dietrich Bonhoeffer zum 100. Geburtstag
Was hat ihn so groß gemacht, dass er von uns Evangelischen fast wie ein Heiliger verehrt wird – Dietrich Bonhoeffer, der 1906 in Breslau geboren und am 9. April 1945, wenige Tage vor der Befreiung, von den Nazis ermordet wurde? War er ein perfekter Mensch? Sicherlich nicht. Hat er die Welt verändert? Vordergründig auch nicht - er vermochte Hitler nicht zu stürzen und ihn an keinem seiner Verbrechen zu hindern.
Aber Erfolg in dieser Hinsicht war ja noch nie ein Kriterium für Heilige. Was wir an ihnen bewundern, ist etwas anderes: ihr Mut, ihre kompromisslose Art, mit der sie ihren Glauben leben und zu ihm stehen. Sie leben auch stellvertretend etwas, was wir, die ‚normalen Sterblichen’, für wichtig halten, aber (noch) nicht zu leben vermögen.
In diesem Sinne war auch Dietrich Bonhoeffer für mich ein Heiliger. Mich beeindruckt seine Bereitschaft, sich ganz für eine Sache hinzugeben, die er einmal als richtig und wichtig erkannt hat. Seine Weitsicht - schon im Frühjahr 1933 warnt er, der Führer könne zum Verführer werden, und noch im Jubel der Anfangssiege spricht er davon, dass Deutschland diesen Krieg verlieren müsse. Mehr als alles andere aber vielleicht seine Bereitschaft, Schuld auf sich zu nehmen, sich schmutzig und angreifbar zu machen. Natürlich, Widerstand gegen Hitler konnte Freiheit und Leben kosten und die eigene Familie und nicht nur Mitstreiter, sondern auch Unschuldige in Gefahr bringen. Das mutige Wort eines Bischofs zog Repressalien gegen die Pfarrer nach sich, das Wort eines Pfarrers seine Auswechslung gegen einen Kollegen der Deutschen Christen. Den Krieg zu verlieren würde – nach dem Versailler Vertrag – eine erneute und noch schlimmere Demütigung Deutschlands bedeuten. Und ein Attentat auf Hitler war Mord und würde auch das Leben anderer gefährden. Deshalb haben die meisten, gelähmt von all diesen Bedenken, es vorgezogen, nichts zu tun, um ja keinen Fehler zu begehen.
Bonhoeffer jedoch wusste, dass man oft Nachteile in Kauf nehmen, dass man auch bereit sein muss, sich die Finger schmutzig zu machen, ja dass man manchmal nur zwischen zwei Wegen wählen kann, schuldig zu werden, und hatte den Mut sich für einen zu entscheiden und den sehr entschlossen zu gehen.
Das ist bis heute so: Es gibt selten nur „gut“ oder „schlecht“, sondern fast alles ist mit Nachteilen und Schuld verbunden. Was hätten wir, der Westen, denn tun sollen angesichts des Völkermords im Kosovo – zusehen, wie schon in Srebrenica, oder eingreifen, und das hieß – nach allen vergeblichen Verhandlungen – Krieg führen, eben auch das Leben Unschuldiger vergießen?
Die Möglichkeiten des Lebens werden immer wieder wie eine Münze mit zwei Seiten sein. Wir werden uns immer wieder neu für eine mitsamt ihrer Kehrseite entscheiden müssen. Solche Entscheidungen mutig zu treffen und ihnen nicht auszuweichen, auch das ist der Glanz des Heiligen.
Im Juli 2006
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