Dem Rad in die Speichen fallen

Wieder ist der Elfte eines Monats zu einem Datum des Todes geworden. Am 11. März wurden in Madrider Vorortzügen 190 Menschen durch Bomben getötet, mehr als 1400 verletzt und unzählige gewiss bis ans Ende ihres Lebens traumatisiert. Aber Zahlen sind Statistik. Etwas anderes ist es, in der spanischen Tageszeitung EL PAIS die Seiten zu lesen, auf denen jeden Tag einige der Toten mit Foto und einem kurzen Lebenslauf vorgestellt wurden. Die Toten erhielten Namen, Gesicht und ein ganz persönliches Schicksal, das bei allen auf die eine oder andere Weise unter die Haut ging.
Vielleicht spürten Sie, liebe Leser, ebenso wie ich in jenen Tagen ein großes Bedürfnis, zu helfen, und doch gleichzeitig eine große Hilflosigkeit. Am liebsten hätte ich vor Ort Blut und Trost gespendet. Ökumenische Partnerschaft, Zusammengehören in einem geeinten Europa - das muss sich ja gerade dann bewähren!
Aber es geht nicht nur darum, wie Bonhoeffer sagt, die Opfer unter dem Rad zu verbinden, sondern dem Rad selbst in die Speichen zu fallen. Strengere Gesetze und effektivere Polizeiarbeit können dabei nur Teil einer breiten Strategie sein. Fragen der Zuwanderung und Integration müssen angegangen werden, wobei uns der Spagat gelingen muss, weder eine Pogromstimmung zu erzeugen noch den Kopf in den Sand zu stecken. Für mich gehört auch ein offener und kritischer Dialog mit unseren muslimischen Mitbürgern dazu. Wir Deutsche sind nicht alle Neonazis, und doch müssen wir uns immer wieder fragen lassen, was wir gegen die Ausbreitung dieses Gedankenguts tun. Muslime sind beileibe nicht alle Terroristen, aber wir dürfen auch ihnen die Frage nicht ersparen, was sie gegen die Saat der Gewalt in ihren Kreisen unternehmen. Den Todeswahn können wir nur miteinander, nicht gegeneinander überwinden.
Weltweit wird ganz sicher die Verteilung des Wohlstandes auf die Tagesordnung gesetzt werden müssen, ebenso die Verteilung der Macht und der Missbrauch derselben. Mehr Gerechtigkeit – weniger Terror – ich denke, diese Formel hilft.
Mein Wunsch ist es, dass wir gerade auch als Christen dazu beitragen werden. Wenn es am Ende des Bekennervideos heißt:„Ihr wollt das Leben – wir den Tod“, so bedeutet Ostern, bedeutet das Bekenntnis zum Auferstandenen für mich, diesen Satz umzudrehen: Wenn ihr den Tod wollt, so wollen wir das Leben. Jedes einzelne zählt!

Im Mai 2004

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