Zum 11. September 2001

Ich schreibe diese Zeilen am 12. September. Die Bilder des gestrigen Tages, die brennenden Türme des World Trade Centers in New York, die daraus winkenden Menschen, der Moment, in dem beide Giganten in sich zusammensacken, tausende Menschen unter sich begraben und die Skyline Manhattans in eine apokalyptische Wolke von Schutt und Rauch hüllen, haben sich mir tief eingegraben und werden mir gewiss mein Leben lang in Erinnerung bleiben.
Ein Schreckensszenario, das alle Vorstellungen und alle Horrorfilme übertrifft. Und dem Erschrecken und der Sprachlosigkeit schließt sich die Frage an: Wer steckt hinter diesem Blutrausch? Was sind das für Menschen, die so mit dem Leben unzähliger anderer, unschuldiger Zivilisten umgehen?
Diese Taten sind Ausdruck eines abgrundtiefen Hasses, der Menschen blind gemacht hat für ihr eigenes Leben und für das ihrer Mitmenschen. Sie sind ein weiterer trauriger Beleg dafür, wieweit man Menschen abrichten und die grundlegendsten Instinkte abtöten kann, wenn man sie nur mit der geeigneten Ideologie füttert und ihnen beibringt, dass der andere kein Mensch und seine Ermordung eine gute Tat sei. Auschwitz und Hiroshima lassen grüßen.
In dieser Situation können wir an unserem Glauben verzweifeln – wo ist er denn, dieser Gott, der solches zulässt? – oder uns neu darauf besinnen, dass er eben noch nie eine Zugabe zu den idyllischen Momenten des Lebens war, sondern von Anfang an eine Geburt in den äußersten Tiefen desselben. Oder glauben wir vielleicht, die Christen in Rom hätten im ersten Jahrhundert nicht ähnlich wie wir in diesem Moment empfunden, damals, als sie einem geisteskranken Tyrannen und Massenmörder namens Nero ausgeliefert waren, oder ein Paul Gerhard, dessen Lieder wir heute so hoch schätzen und dessen Glauben eben im Schrecken des Dreißigjährigen Krieges Gestalt fand, der ihm den Großteil seiner Familie raubte?
Und dann besinnen wir uns vielleicht darauf, dass gerade in solchen Momenten unser Glaube und unser Zeugnis als Christen besonders wichtig sind. Und das heißt: Kein Ruf nach Rache, nach Gegengewalt, sondern Besonnenheit ist gefragt. Das, was dem Hass und dem Blutvergießen langfristig begegnen kann: Buße, die eigene Umkehr und die Ermutigung anderer zur Umkehr. Umkehr zum Nächsten und zum Weg des Friedens. Das heißt, ungeschönt über die Ursachen von Hass und Gewalt nachdenken und die Ursachen beiseite räumen – und dabei bei sich anfangen und nicht den ersten Schritt vom anderen erwarten. Was zwischen Deutschen und Juden, zwischen Deutschen und Franzosen möglich war und zwischen Deutschen und vielen Völkern Osteuropas noch mitten im Gange ist, muss seine Entsprechung finden an vielen anderen Orten dieser Welt. Die Ereignisse von New York und Washington zeigen, wie bitter nötig die Umkehr zueinander ist und wie sehr diese Welt Christen und ihren ermutigenden Ruf zur Umkehr braucht. .
Buße, die Umkehr zu Gott und zum Nächsten, ist der Weg zum Frieden. Es ist darum eine gute Tradition, dass wir am Buß- und Bettag Friedensgottesdienst feiern – auch in diesem Jahr wieder.

Im Oktober 2001

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