Erntedank in Zeiten der Gentechnologie

Wie in jedem Jahr werden wir auch mit Beginn des neuen Jahrtausends wieder für die eingebrachte Ernte danken. Aber geht dies bei uns noch einher mit einem wirklichen Gefühl der Dankbarkeit, mit einem Bewusstsein, auf einen großen Schöpfer angewiesen zu sein? Tun wir in unserer Zeit nicht alles, um ihn zu ersetzen, um selbst Schöpfer zu werden und Leben nach unseren Vorstellungen machen zu können? Schon werden uns genetisch veränderte Lebensmittel zum Kauf angeboten. Nun ist in diesem Jahr auch die Entschlüsselung des menschlichen Erbcodes gelungen. Weitreichende Eingriffe ins menschliche Leben werden damit möglich. Viele schwärmen von der Ausschaltung von Erbkrankheiten, der Besiegung von Krebs, Zucker, Alzheimer und anderen Plagen der Menschheit - in der Tat eine verlockende Vision. Und manch einer, der unter einer dieser Krankheiten leidet, wünscht sich, die Forschung wäre schneller gewesen, und ihre Segnungen wären auch ihm schon zugute gekommen.
Möglich soll die gezielte Manipulation am Erbgut werden - ein unansehnliches Körpermerkmal wird dann nicht weitervererbt, ich kann den Bauplan für mein Kind bestimmen, ich kann die Augen - und die Haarfarbe wählen. Lauter schöne Normkinder werden wir dann haben, alle paar Jahre ein bisschen anders, je nach der wechselnden Mode.
Aber da beginnt sich bei mir ein Unwohlsein zu regen. Ist es gut, wenn sich der Mensch selbst zum Schöpfer macht? Abgesehen von der Möglichkeit, dass immer etwas schiefgehen, bei einem kleinen Fehler beim Eingriff ins Erbgut ein Monsterkind zur Welt kommen kann - wird uns hier nicht etwas genommen, etwas von der Überraschung, von der Erfahrung eines Geschenks mit jeder Geburt eines Kindes? Von der Fähigkeit, Menschen anzunehmen, wie sie sind - eben auch in ihrer Unvollkommenheit? Von der Fähigkeit, zu danken und dem Bewusstsein, woher all diese Möglichkeiten des Lebens kommen, an denen wir dann herumzuspielen versuchen? Und wer schützt uns vor dem Missbrauch dieser ungeahnten Möglichkeiten, vor dem Missbrauch durch Geschäftemacher und Potentaten? Hitler hätte es ohne Zweifel gefallen, Menschen zu machen - nicht mehr nach Gottes Ebenbild, sondern nach seinem Bild und seinem Rasseideal.
Die Entschlüsselung des Gencodes, so sagt man, sei in ihrer Bedeutung vergleichbar mit der Erfindung des Rads. Der Mensch ist dabei, seinem alten Traum noch ein Stückchen nahe zu kommen, dem Traum von der Unsterblichkeit, der Rückkehr ins Paradies.
Merkwürdig mutet es dabei aber an, dass wir auf der anderen Seite so vieles tun, um die Erfüllung dieses Traums zu vereiteln. Unsere Art zu leben, gerade in unseren Industriegesellschaften, produziert so viele psychische Krankheiten und so viele Herz - und Kreislaufstörungen (die ja bekanntlich Todesursache Nummer eins sind hierzulande). Wir fahren fort, unsere Umwelt zu vergiften und damit uns selbst. Wie kann es sein, dass wir dem Traum von der Verlängerung des Lebens nachjagen und gleichzeitig jeder Klimagipfel einen so jämmerlich geringen Willen zeigt, etwas dazu zu tun?.
Der Eingriff ins Erbgut mag für viele zum Segen werden. Aber er muss strengen Kontrollen unterworfen werden. Und er kann nur Teil einer breitgefächerten Strategie sein, die Gesundheit oder sagen wir:: das Leben auf diesem Planeten zu fördern. Und dazu gehört auch, das Leben für die Menschen lebenswerter zu machen, für die es eine Tortur ist - auch ohne Erbkrankheiten und Missbildungen. Ihr Hunger und ihre Angst vor Gewehrkugeln kann nicht mit Eingriffen ins Erbgut bekämpft werden. Sorgen wir dafür, dass wir und dass alle auf dieser Welt wirklich Grund zum Danken haben!

Im Oktober 2000

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